Trier: vom lebendigen Theater zum Bespieltheater?

31.07.2013 | Das Virus der angedrohten Theater- bzw. Spartenschließungen frisst sich nach Südwesten vorwärts. Neuester Erkrankungsfall: das Theater Trier.

Die Stadt meint, für das Theater künftig 1 Million Euro pro Jahr weniger ausgeben zu wollen. Das Theater kann davon nur etwa die Hälfte "stemmen". Und so engagiert die Stadt einen externen Gutachter, um Verantwortung auszulagern und Horrorszenarien vorzubereiten. Damit es keine unliebsamen theaterfreundlichen Überraschungen gibt, wird der Mitautor des berüchtigten Buches "Der Kulturinfarkt", Dieter Haselbach, beauftragt. Sein Credo: Jede zweite deutsche Kultureinrichtung sei ersatzlos zu schließen.

Das Ergebnis des "Gutachtens" überrascht nicht. Erstens: Das Theater arbeitet bereits jetzt so effizient, dass weitere Einsparungen bei Beibehaltung von Qualität und Umfang des Angebots nicht realisierbar sind. Zweitens: Von den daraufhin zu entwickelnden Einschnitts-Szenarien hat die Umstellung auf einen reinen "Bespielbetrieb" bei Entlassung des gesamten künstlerischen Personals den positivsten wirtschaftlichen Effekt. Dazwischen liegen die Modelle "Optimierte Fortführung des bisherigen Angebots" (scheidet aus, da kein hinreichender Spareffekt), Schließung des Sprechtheaters unter Beibehaltung von Musiktheater, Tanz und Orchester (wenig wirtschaftlicher Effekt) und Streichung von Musiktheater und Tanz unter Beibehalt des Schauspiels und u. U. des Orchesters als Konzertorchester (wird, obwohl hier der größte qualitative Verlust im Falle des "Bespielbetriebs" eingeräumt wird, wirtschaftlich für sinnvoll gehalten). Beide letztgenannten Szenarien würden die Vorgaben von Kulturdezernent Thomas Egger erfüllen, das letztere sogar deutlich übererfüllen - für Politiker heutzutage ein magnetisierender Effekt.

Doch was würde dies für die Stadt und die Region jenseits der blanken Zahlen bedeuten: Eine geschichtsträchtige Universitätsstadt von über 100.000 Einwohnern, die 100 Kilometer vom nächstgelegenen deutschen Theater-Standort entfernt ist, hätte kein eigenes Theater mehr, wäre der künstlerisch-intellektuellen Auseinandersetzung beraubt, die nur ein am Ort ansässiges Theater-Ensemble bieten kann. Hiermit sinkt vor allem drastisch die Attraktivität für hochkarätige Lehrkräfte und Studierende der Universität - ein Qualitätsverlust wird schleichend auch hier eintreten.

Die Entlassung großer Teile oder gar des gesamten künstlerischen Personals (das nicht-künstlerische ist weitgehend unkündbar und muss weiter finanziert werden) wird mittelfristig mit erheblichen Kosten verbunden sein; darüber hinaus wird sich - hier wie anderenorts - die spannende Rechtsfrage stellen, ob die Zulässigkeit der Befristung der Arbeitsverträge der Künstler, die ja gemäß § 2 Abs. 2 NV Bühne ausdrücklich mit Rücksicht auf die künstlerischen Belange erfolgt, einem derartigen Missbrauch zu betrieblichen und damit letztlich ausschließlich wirtschaftlichen Zwecken standhält.

Bemerkenswert ist noch etwas Anderes: Wie auch an anderen westdeutschen Standorten, an denen die Knappheit der kommunalen Kassen Begehrlichkeiten der Finanzpolitiker gegenüber den Theateretats weckt, wird auch hier nur über irreversible Total-Einschnitte, nicht aber über die Möglichkeit einer (vorübergehenden) Entlastung durch einen Haustarifvertrag (HTV) diskutiert. Angeblich geht es ja nur um einen offenen Kürzungsbetrag von ca. 500.000 Euro. Sollte ein so dimensioniertes Einsparungsziel tatsächlich unabweisbar sein, wäre es durch eine Kürzung der Personalkosten um 4 bis 5 Prozent erreichbar. Gemessen an vielen HTV-Standorten in Ostdeutschland eine überaus komfortable Situation. Es drängt sich die Frage auf, ob hier der finanzielle Engpass nur zum Vorwand genommen wird, der von einigen Politikern empfundenen Überflüssigkeit einer eigenen Theaterkultur Vorschub zu leisten. Einer solchen gesellschaftspolitischen Verantwortungslosigkeit aber ist jeder nur mögliche Widerstand entgegenzusetzen.