Die Europäische Kommission hat Leitlinien verabschiedet, die klarstellen, inwieweit das EU-Wettbewerbsrecht auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbstständigen anzuwenden ist. Die Leitlinien legen dar, unter welchen Voraussetzungen bestimmte Selbstständige und deren Auftraggeber sich zusammenschließen und verbindliche Vereinbarungen wie Tarifverträge abschließen können, ohne gegen EU-Wettbewerbsvorschriften zu verstoßen.
Margrethe Vestager, Exekutiv-Vizepräsidentin für ein Europa für das digitale Zeitalter und EU-Wettbewerbskommissarin, erklärte, Solo-Selbstständige seien möglicherweise nicht in der Lage, einzeln gute Arbeitsbedingungen auszuhandeln: „Ein gemeinsames Vorgehen bei Tarifverhandlungen eignet sich als Instrument, um diese Bedingungen zu verbessern. Die neuen Leitlinien sollen Solo-Selbstständigen Rechtssicherheit bieten, indem sie klarstellen, wann ihre Bemühungen, gemeinsam über bessere Konditionen zu verhandeln, wettbewerbsrechtlich unbedenklich sind.“
Artikel 101 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) untersagt wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen. Tarifverträge zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen und deren Zusammenschlüssen unterliegen schon nach bisheriger EuGH-Rechtsprechung nicht den EU-Wettbewerbsvorschriften. Selbstständige gelten hingegen als „Unternehmen“ und könnten somit in Konflikt mit den Wettbewerbsvorschriften geraten, wenn sie gemeinsam über ihre Gebühren oder andere Geschäftsbedingungen verhandeln. Daher sind Selbständige oft unsicher, ob sie sich zu Tarifverhandlungen zusammenschließen dürfen.
Die Leitlinien gelten für Solo-Selbstständige, die vollständig auf sich gestellt arbeiten und keine Mitarbeiter*innen beschäftigen.
In den Leitlinien wird dargelegt, unter welchen Umständen bestimmte Solo-Selbstständige im Verbund mit anderen Solo-Selbständigen Tarifverhandlungen führen können, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern, ohne gegen die EU-Wettbewerbsvorschriften zu verstoßen. Die Leitlinien machen insbesondere deutlich:
- Das Wettbewerbsrecht findet nicht auf Solo-Selbstständige Anwendung, die sich in einer vergleichbaren Situation wie Arbeitnehmer*innen befinden. Dazu gehören Solo-Selbstständige, die a) ihre Dienstleistungen ausschließlich oder überwiegend für ein Unternehmen erbringen, b) Seite an Seite mit Arbeitnehmer*innen arbeiten und c) ihre Dienstleistungen für oder über eine digitale Arbeitsplattform erbringen.
- Die Kommission wird die EU-Wettbewerbsvorschriften nicht gegenüber Tarifverträgen durchsetzen, die von Solo-Selbstständigen in einer schwachen Verhandlungsposition ausgehandelt wurden. Eine schwache Position ist beispielsweise gegeben, wenn Solo-Selbstständige mit wirtschaftlich stärkeren Unternehmen verhandeln oder wenn sie nach nationalem oder EU-Recht Tarifverhandlungen führen.
Insgesamt stellt die EU-Kommission damit klar, dass Solo-Selbstständige wie z.B. freiberuflich arbeitende Künstler*innen sich unter bestimmten Voraussetzungen zusammenschließen können, um Tarifverträge abzuschließen. Die Leitlinien gelten für Solo-Selbstständige, die auf sich gestellt arbeiten, keine Mitarbeiter*innen beschäftigen und sich in einer schwachen Verhandlungsposition befinden.
Im Vorfeld war die VdO über ihre Arbeit in der FIA sowie dem Deutschen Kulturrat und den entsprechenden Stellungnahmen zu den ersten Entwürfen der Leitlinien in den Prozess eingebunden.
Der Geschäftsführer der VdO, Tobias Könemann, sagte: "Diese Klarstellung durch die EU-Kommission schafft Rechtssicherheit für kollektive Vereinbarungen über die Arbeits- und Vergütungsbedingungen Solo-Selbständiger auf europäischer Ebene. Dies ist sehr zu begrüßen. Nun gilt es auszuloten, inwieweit das nationale Recht, insbesondere das Tarifvertragsgesetz, das Tarifverträge für Selbständige nur in einem sehr beschränkten Rahmen, der zudem hinsichtlich möglicher Partner auf Auftraggeberseite ziemlich unklar formuliert ist, zulässt, angepasst werden muss. Die VdO wird diesen Prozess weiter vorantreiben."