"Die Gezeichneten" an der Komischen Oper Berlin

„Es geht (…) um organisierten Kindesmissbrauch, wie er in Familien – sogar am häufigsten dort – oder in größeren Organisationen stattfand und stattfindet.“ Das erklärt Regisseur Calixto Bieito im Programmheft-Interview zu Franz Schrekers Oper, die – gerade 100 Jahre alt geworden – an der Komischen Oper Berlin Premiere hatte. Die drei zentralen Figuren sind – jede auf ihre Art – „Gezeichnete“. Alviano, der Hässliche, will seine Gelüste geheim halten; sein „Elysium“ wird für die Missbrauchten zur Hölle. Er vertraut sich der Künstlerin Carlotta an, was zum Verhängnis führt und die drei Hauptfiguren Alviano, Carlotta und den schönen Tamare (laut Bieito „egoistisch, pervers, empathielos“) in den Abgrund zieht. „Die Figuren der Oper sind moderne Menschen und als solche sind sie Getriebene in ihrer Angst“, sagt der Regisseur. Aus den in Schrekers Libretto vorgesehenen „Jungfrauen“ macht er kurzerhand Mädchen und Jungen. Seine Inszenierung findet Kritiker im Publikum (Buh-Rufe) und auch in den Medien. „Präzise führen die Darsteller die Anweisungen ihres Regisseurs bei der Premiere am Sonntag aus – wirklich überzeugt scheinen sie dabei nicht. Darum geht das wüste Treiben auf der Bühne auch nicht unter die Haut“, so schreibt zum Beispiel der Tagesspiegel. Der rbb attestiert der Regiearbeit den „Erschütterungswert einer Schaufensterdekoration“. Anders die Musik. „In weit ausgreifenden Melodiebögen und experimentellen harmonischen Entwicklungen bis an den Rand der Tonalität gestaltet Franz Schreker in seinem 1918 uraufgeführten Werk schillernde Seelenporträts“, so lesen wir im Programmheft. Dirigent Stefan Soltesz trage Schrekers Klang über die Bilderflut hinweg, schreibt die Berliner Morgenpost. Und der rbb kommentiert: „Sehr gut ist der Chor.“ Das Foto (Iko Freese/drama berlin) zeigt Michael Nagy als Tamare und Peter Hoare als Alviano.

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