1974 in Glyndebourne uraufgeführt erlebte diese Oper von Benjamin Britten erst rund 40 Jahre später ihren Durchbruch und wird seither immer wieder – wenn auch nicht sehr oft – auch auf deutschen Bühnen gespielt, jetzt im neuen theater Halle. Britten und sein Librettist Eric Crozier entlarven hier die falsche und bigotte Moral einer britischen „höheren Gesellschaft“ um 1900. Um die Moral und alte Werte wieder aufleben zu lassen, möchte Lady Billows eine Maikönigin krönen. Ein tugendhaftes Mädchen muss her, doch da ein solches nicht gefunden wird, macht man kurzerhand den Jungen Albert Herring zum Maikönig. Aber auch dieser macht nicht das, was er soll, befreit sich vielmehr mit Hilfe seiner Freunde von der Überprotektion seiner Mutter, stürzt sich in die „Sünde“, und schließlich geht es auch in der guten Gesellschaft drunter und drüber. In Halle inszenierte die Polin Karolina Sofulak, die die Oper bereits 2022 in Posen auf die Bühne gebracht hatte und ihre Inszenierung nun für Halle anpasste. Gespielt wird in einem heutigen Show-Ambiente; die Figuren scheinen teilweise einem Zeichentrick-Ambiente entstiegen. „Schön sind Sofulaks cartoonartigen Figurenzeichnungen und die von Dorota Karolczak überspannt gestalteten Kostüme nicht – dafür grotesk und bedrohlich wie populistische Gedankenschwaden“, schreibt die Mitteldeutsche Zeitung (MZ). „Karolina Sofulak lässt ihr Publikum in tiefe Abgründe blicken“, berichtet der MDR. Und: „Die Inszenierung hält uns als Gesellschaft den Spiegel vor.“ Die musikalische Leistung überzeugte ebenfalls. „Generell wurde sehr drastisch, deutlich und auch schön gesungen“, so die MZ. Und der MDR: „Eine wirklich große musikalische und darstellerische Leistung aller einzelnen Solistinnen und Solisten sowie eine bewundernswerte Ensembleleistung.“ Das Foto (Anna Kolata) zeigt Anke Berndt als Lady Billows.